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- Der italienischen Reise zweiter Teil
- Der italienische Reise dritter Teil
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- Pflanzen, die es geschafft haben
Mit einer Verbeugung vor der allseits beliebten Kolumne, „Tiere, die es geschafft haben“ des alten, nicht kaputt zu kriegenden Schlachtrosses der deutschen Podcasterei möchte ich hier ein neues Kapitel aufschlagen und jene Pflanzen thematisieren, die mich überrascht, überzeugt oder einfach schlichtweg bezirzt haben. Eben „Pflanzen, die es geschafft haben“!
Unberührte Natur ist leider gleichermaßen Klischee wie Illusion. Dieser Planet ist so gründlich „behandelt“ wurden, dass sich nur in den unwirtlichsten Gegenden noch Flecken finden lassen, an denen sich die Krone der Schöpfung noch nicht ausgetobt hätte. Dennoch ist es eines der tiefverwurzelten Ziele dieser Reise, Orte zu finden, an denen man sich zumindest eben jener Illusion hingeben kann, mitten in der Natur, fernab der Zivilisation zu sein. Dabei gilt mein Interesse jenen, bisweilen gar nicht so kümmerlichen Resten einer einst mächtigen und ungezähmten Natur nicht allein als Erholungsfaktor oder Entspannungskulisse. Ich habe stets ein Auge auf Pflanzen als potentielle Nahrung, Medizin oder für sonstige Zwecke. Einerseits aus Autarkiegründen, anderseits ist es einfach ein Faible von mir. Ein ganz besonderer Höhepunkt hierbei ist es, wenn man auf Reisen Pflanzen, die man schon länger kennt, neu kennenlernt, bzw. mögliche, neue Verwendungen erfährt. Da sich derlei Erkenntnisse im Laufe der Zeit immer mehr ansammelten , beschloss ich nun, alleine um sie selbst nicht zu vergessen, hier eine kleine Präsentation der interessantesten Fälle zusammenzutragen. Natürlich vermute ich, dass diese Reise hier noch einige Bekanntschaften einbringen wird, die ich dann natürlich ergänzen werde. Es lohnt sich also, hier in gewissen Abständen immer mal wieder vorbeizuschauen.
Beginnen wir mit Mlouchia, dieses unfassbar köstliche Lebewesen traf ich in Tunesien. Es handelt sich bei ihr um Jute, genauer der Langkapseligen Jute (Corchorus olitorius). Aus dieser Pflanze wird ein populäres Gericht der arabischen Küche gebraut, welches natürlich wieder über diverse Schreibweisen verfügt: Muluchiya (auch Mulukhi(y)yah, Mloukhiya, Molokhia; arabisch ملوخية). Es besteht aus den grünen spinatähnlichen Blättern des Corchorus olitorius (Langkapselige Jute), einer stark aromatischen Malvenpflanze. Das Gericht wird vorbereitet, indem die Blätter vom Pflanzenstamm entfernt und zum Trocknen ausgelegt werden. Diese Blätter werden dann zu einem sehr feinen Pulver gemahlen, das in Gläsern oder anderen fest verschlossenen Behältern aufbewahrt wird. Auf jeden Fall sollte man wissen, dass die Zubereitung von Mulukhya oder Mloukhiya enorm viel Zeit veranschlagt – 5 bis 7 Stunden im Schnitt – daher beginnt man hiermit meistens am Abend um sie am nächsten Morgen zu genießen. Das Pulver wird mit Olivenöl und manchmal Tomatenpaste zu einer Sauce, nicht zu einer Suppe, zubereitet, und große Fleischstücke vom Rind werden oft zur Hälfte der Kochzeit hinzugefügt. Die dunkelgrüne Sauce köchelt bei schwacher Hitze und wird so lange gekocht, bis sie die Konsistenz einer Tomatensauce erreicht. Die Sauce wird in kleinen tiefen Tellern mit einem Stück Rindfleisch serviert und vorzugsweise mit herzhaftem traditionellem weißem Brot gegessen. Falls ich es noch nicht erwähnt habe: Sehr köstlich! Ach, und ich habe sogar noch ein Tütchen davon in den grenzenlosen Untiefen meines Reisegepäcks.


In Griechenland, genauer auf Chios, stießen wir erstmals mit vollem Bewusstsein auf den Mastixstrauch. Und ja, doch, wir sprechen fürderhin von einem Strauch, denn für die Klassifikation als Baum reicht es in meinen Augen nicht aus. Ich ging im 19. Wissenssplitter schon kurz ein auf diese überaus beachtlich vielfältigen Lebensform ein und möchte den Faden von dort einfach aufnehmen, denn es gibt noch einiges mehr über diese Pflanze zu erzählen. Spannend ist zum Beispiel, wie lange dieser Strauch schon von Menschen kultiviert wird. Natürlich kann er es nicht aufnehmen mit den Altvorderen der Kultivierung, Ölbaum und Weinrebe, aber es ist ja auch eine andere Sache mit Pistacia lentiscus, denn schließlich konnte man die Harztropfen ja einsammeln ohne zu säen und zu pflügen. Schließlich waren es ja Jäger UND Sammler, die bereits in der Jungsteinzeit die Blätter und Früchte des Mastixstrauchs verwendeten. Wofür auch immer, denn die Anwendungsmöglichkeiten sind wie gesagt reichlich. Im Alten Ägypten fand Mastix dann endlich eine verbriefte Anwendung, die ihm ab diesem Zeitpunkt einen unverzichtbaren Rang in der Prioritätenliste einbrachte: erst als Lack, dann als Bestandteil der Mumifizierungspaste und schließlich als rituelles Räucherwerk. In der Antike entdeckten dann die alten Griechen seine medizinische Wirkung, hauptsächlich als Heilmittel bei Magenbeschwerden, Wundsalbe und zur Kräftigung des Zahnfleischs. Speziell seine Wirkung bei Zahnfleischentzündungen kann ich aus erster Quelle bestätigen. Als ob dies nicht schon genug Möglichkeiten waren, um die Nachfrage der „Tränen von Chios“ zu steigern, kam in der Neuzeit noch etwas hinzu. Bis ins 19. Jahrhundert war Mastix, gelöst in Terpentin, der wichtigste Abschlussfirnis in der Europäischen Tafelmalerei.

Erstmals begegnet ich den „Früchten“ des Zahnbürstenbaums am Rande der Sahara in Tunesien. Hier erwarb ich in einem kleinen Büdchen zwei unscheinbare Zweige, die mir mit unmissverständlicher Geste zum Gebrauch des Zähneputzens verkauft wurden. Natürlich hatte ich von dieser Form der Zahnhygiene schon gehört, nur dachte ich bis dahin, dass man zu diesem Behufe so gut wie jeden Baum nutzen könne. Dass es aber tatsächlich einen eigenen Baum gibt, der dann auch noch ganz reißerisch Zahnbürstenbaum (Salvadora persica) heißt, das war mir so nicht klar. Aber in der Praxis werden seine Wurzeln und Zweige abgeschnitten und anschließend solange gekaut, bis ein Ende so ausgefranst ist, dass es an eine Bürste erinnert. Anschließend werden damit die Zähne geputzt, wobei die abbrechenden Holzstücke ausgespuckt werden. Diese Prozedur hat offensichtlich eine lange Tradition, denn sie findet sich schon in den islamischen Sitten zur Gebetsverrichtung. Diese natürliche Zahnbürste wird auch Miswak oder Siwak genannt. Tatsächlich enthält dieser Baum wichtige Mineralstoffe, Rohfasern, Proteine und keimhemmend wirkende Substanzen, insbesondere durch Ablagerungen feinster Bassanit-Kristalle, welche die Reinigung der Zähne durch das Kauen der Pflanzenteile wirkungsvoll unterstützen. Die Hölzer haben sogar einen winzigen Fluorid-Anteil. Doch damit nicht genug: Die süß-pfeffrigen Früchte sind essbar. Sie werden als Senfersatz verwendet oder roh und getrocknet verwendet. Die jungen Blätter und Knospen werden roh, gekocht oder als Sauce verzehrt. Aus den veräscherten Blättern wird ein Salz gewonnen. Daher wohl auch die Namen Senfbaum und Salzbusch, unter denen der Zahnbürstenbaum auch bekannt ist. Ein weiterer Name ist übrigens Arakbaum, was mich nachhaltig verwirrt, da ich Arak eigentlich eher mit Palmsaft oder Zuckerrohr verband, aber gut, in der Not wird wohl jegliche organische Substanz zu Arak verarbeitet. Knapp zwei Jahre später trafen wir erneut auf den Zahnbürstenbaum, bzw. ein Produkt seiner Äste. In gewohnt kultivierter Form reichte man uns in der Türkei die Essenz dieses wundersamen Baumes zusammen mit einer Handvoll nicht minder gesunder Kräuter als Zahnpasta und wer waren wir da um zu widerstehen.



Die vielleicht größte Überraschung mit einer, mir längst bekannten Pflanze erlebte ich in der Türkei mit Sumak – ein speziell in Kurdistan häufig verwendetes, leicht säuerliches Gewürz, das ein wenig an Zitrone erinnert und auch ähnlich verwendet wird. Aber es ist nicht nur ein fruchtig-frischer Alleskönner als Gewürz sondern auch ein Allrounder hinsichtlich seiner Inhaltsstoffe: Ballaststoffe, Kalium, Calcium, Magnesium, Eisen, Zink, Omega-3-Fettsäuren sowie Apel- und Zitronensäure. Ein wahrer Tausendsassa also an dessen beruhigende dunkelrote Anwesenheit auf dem Esstisch ich mich innerhalb kürzester Zeit gewöhnte. Dementsprechend von den Socken war ich, als mir mitgeteilt wurde, dass dieses tolle Pulver aus den Früchten des Essigbaums (Rhus typhina L.; Synonym: Rhus hirta (L.) gewonnen wurde. Ein Baum, dem ich über lange Strecken nicht viel abgewinnen konnte. Ästhetisch wie nutzungstechnisch – eines dieser überbewerteten Ziergehölze und dann nicht mal ein besonders schönes, so meine herablassende Einschätzung. Doch damit änderte sich natürlich alles. Jedenfalls für einen Moment. Bis ich begriff, dass es sich bei der Quelle für Sumak, bzw. Sumach wie es im deutschsprachigen Raum genannt wird, um einen engen Verwandten des Essigbaums handelte. Der Gerber-Sumach oder Gerbersumach (Rhus coriaria), auch Sizilianischer Sumach oder Färberbaum ist der, zugegeben dem Essigbaum doch sehr ähnlich sehende Quell jenes Gewürzes, welches schon die alten Griechen besangen und aus der Küche des mittleren Ostens nicht wegzudenken ist. Überprüft gelegentlich mal woher euer Lahmacun diese rötliche Farbe hat.


Sicher hatte ich diese unscheinbare Pflanze schon oft übersehen. Sie galt mir wohl auf unseren ausgedehnten Mittelmeerausflügen stets als nicht der Rede werter Bestandteil, der hier allgegenwärtigen Macchie-Gestrüppmischung. Erst auf Chios, als sich mein Blick schärfte um die für Mastix verantwortliche Pistazie auszumachen, fiel mein Blick auch auf die Terpentin-Pistazie (Pistacia terebinthus). Ich sortierte sie damals noch enttäuscht als Niete aus, denn ich suchte natürlich nach einer anderen Pistazie, und zwar keine andere als die harzige Pistacia lentiscus. Doch wenige Wochen später in einem kurdischen Café, mit der stets wachen Gier auf neue Geschmäcker und unbekannte Getränke wurde mir Terebinth, auch Menengiç genannt, angeboten. Ein koffeinfreies, würzig duftendes Heißgetränk, welches seine Geschmacksnoten anfangs noch hinter dem obligatorischen Zuckerwall verstecken musste, später aber ohne Süße genossen, seine herb-malzige Art vollends über meine Sinne ausrollte. Was war ich erstaunt, als ich erfuhr, die Basis dieses, auch Kurdischer Kaffee genannten Tranks wäre eben jene, von mir so lang missachtete Terpentin-Pistazie. Sofort war mein Interesse geweckt und wie nicht anders erwartet, wurde ich bestätigt: Die Terpentin-Pistazie bildet mit dem eng verwandten Mastixstrauch, ein mit ihr überlappendes Verbreitungsgebiet. Außerdem spielt die Die Terpentin-Pistazie eine bedeutende Rolle als nematoden- und pilzresistente Unterlage zur Kultivierung der Echten Pistazie wie auch des Mastixstrauches. Die Unterlage dieses unauffälligen Mitstreiters hilft dem Star der Pistazienszene indem er die Resistenz gegenüber Verticillium-Befall des Mastixstrauchs mit dem kräftigen Wachstum der Terpentin-Pistazie kombiniert.


Pflanzennamen, die es geschafft haben
Zum Abschluss noch eine Liebhaber-Kategorie meinerseits – Pflanzen die einen originellen bis naheliegenden Namen haben.





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