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Fangen wir mit der elementarsten aller Fragen an: Warum heißt Georgien eigentlich Georgien? Tatsächlich muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich auf all meinen Reisen in dieses reizvolle Land, nie ernsthaft über diese Frage nachdachte. Schließlich sah man ja bisweilen Denkmäler oder Ikonen des Drachentöters, so dass ich denkfaul annahm, es müsse da halt irgendeine spezielle Beziehung zwischen den Kaukasen und dem Heiligen Georg geben. Natürlich gab es diese auch, aber es war dennoch nicht der einhellige Grund für die recht einheitliche Meinung sämtlicher Nicht-Georgier dieses Land Georgien zu benamsen. Denn schließlich nennen die Menschen, aus eben jenem Land ihr Land Sakartwelo (საქართველო) und das hat auf den ersten Blick ziemlich wenig mit Georg zu tun. („Land der Kartvelen“) soll vom heidnischen Gott Kartlos, dem Stammvater der Georgier, abgeleitet sein. Dieser war niemand Geringerer als der Sohn des Targamos, der ein Urenkel Noahs war. Schließlich hatte die Arche ja nicht ohne Grund in direkter Nachbarschaft am Ararat geankert. Der Name Sakartvelo bezeichnete ursprünglich Kartli-Kachetien oder das in römischen Quellen beschriebene Iberien. Selbstverständlich konnte man es auch noch mehr auseinander dividieren wie es verschiedene griechische und römische Autoren tatwn: Westliche Georgier als Kolchiter und östliche als Iberer (Iberoi).
Kommen wir aber wieder zurück zu der Fremdbezeichnung Georgien. Natürlich wird diese oft mit dem Heiligen Georg in Verbindung gebracht, denn der heilige Georg genießt hier eine besondere Verehrung. Ihm soll die mythische Gestalt des ritterlichen „Weißen Georg“ (Tetri Giorgi, თეთრი გიორგი) zugrunde liegen. Wie so oft handelt es sich hier um eine Verschmelzung mit einer hierzulande schon zuvor angebeteten Gottheit. Dann kommt es ebenso analog zu anderen Gründermythen zu diversen Schlachten, in denen er den gerade geschlüpften Georgiern zur Hilfe eilt, siehe Schlacht am Didgori (1121) und Bachtrioni-Aufstand (1659). Eine Konmkurenzlegende geht dagegen davon aus, dass der liebe Georg nach seinem Tod in 365 Stücke zerteilt und seine sterblichen Überreste in ganz Georgien bestattet worden. Auf jedem dieser Leichenteile sollte dann irgendein Sakralbau stehen. Mindestens. Wie dem auch sei, die Verehrung für ihn war offensichtlich nicht gerade vernachlässigbar und das sprach sich ungefähr in der Kreuzfahrerzeit bis nach Westeuropa herum und so könnte sich dort der Name Georgien festgesetzt haben. Aber der Konjunktiv steht hier nicht aus reinem Spaß an der Freude herum, denn es gibt noch zwei weitere mindestens ebenso fundierte Theorien.
Da wäre jene, welche das griechische Wort Georgos (Landarbeiter) zur Erklärung heranzieht. Wir wissen, dass die alten Griechen als die europäischen Entdecker dieser Weltenecke gelten, sie hier etliche Städte gründeten, goldene Felle und Frauen raubten, Wein von hier mitbrachten und noch so einiges mehr mit dem „Berg der Sprachen“ verbanden. Warum sollten also nicht gerade sie die Namenspaten für das sympathische Ländchen am Rande der bekannten Welt sein?! Oder aber die ganze Angelegenheit liegt noch viel weiter in der Vergangenheit und lässt sich auf das persische Wort „Gurg“ (Wolf) zurückführen. Persischen Quellen zufolge gab es bei den vorchristlichen Kartwelern regelrechte Wolfskulte und der Wolf hatte einen besonderen Stellenwert in der Gesellschaft. Der iberische König Vachtang I., allgemein bekannt als der Gründer von Tbilissi, trug den Beinamen Gorgassali „Wolfskopf“, da er einen Helm aus einem Wolfskopf trug. Außerdem verführerisch für die Richtigkeit dieser Deutung ist der Umstand, dass es meines Wissens nur zwei Sprachen gibt (neben der Georgischen natürlich), die bei der Benamsung nicht dieser Georgsache auf den Leim gehen. Die beiden Nachbarn Persisch und Türkisch sprechen beharrlich von Gurjistan (Türkisch: Gürcistan) – Wolfsland. Ich lege mich jetzt einfach fest. Nicht nur weil mir Wölfe entschieden sympathischer sind als fanatische Reptilienmörder, nein, ich finde es, auch oder gerade weil es aktuell in Georgen keine Wölfe mehr gibt, die eindeutig bessere Namensherkunft.
Aber wenn wir schon einmal so tief in die Vergangenheit abgetaucht sind, möchte ich noch auf eine außergewöhnliche Besonderheit der kartwelischen Stämme hinweisen. Die Georgier sind eines der wenigen Völker, für das bis heute keine Migration nachgewiesen werden konnte. Viele nationalistische Dumpfbacken überall auf der Welt behaupten ja Ähnliches und stellen mit diesem „Fakt“ jede Menge Blödsinn an. Für Georgien stimmt dies aber tatsächlich – sie waren einfach schon immer hier und offenbarten dazu auch relativ geringe Lust, diesen Ort wieder zu verlassen. Georgien war schon in der Altsteinzeit besiedelt. Neueste archäologische Grabungen in Ostgeorgien bezeugen die Kultivierung vor 1,8 Millionen Jahren, lange vor der Besiedlung Mitteleuropas. Dazu gehört auch der spektakuläre Fund des ältesten europäischen Menschen in Dmanissi. Wenn wir Georgien zu Europa zählen wollen, aber das ist eine ganz andere Frage…
Nur ganz kurz möchte ich die Orthodoxie anreißen. Natürlich ist mir bewusst, dass das eigentlich unmöglich ist und man mit diesem Thema ein Riesenfass aufmacht. Aber ich möchte für den Anfang selbiges Fass nicht gänzlich leeren, sondern nur ganz sachte abschöpfen. Zwei Dinge waren mir neu schon bei der Grundlagenforschung zu diesem Thema. Erstens: Orthodoxie ist nicht gleich Orthodoxie sondern ist in zwei Fachbereiche aufgeteilt – Orthodoxe Kirchen (die Kirchen byzantinischer Tradition, deren Ehrenoberhaupt der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel ist und Altorientalische Kirchen (orientalischen Kirchen, die von der byzantinischen Reichskirche seit 451 nicht mehr als „rechtgläubig“ angesehen werden) Letztere sind also vom Wesen her die „wirklichen“ Originale. Landeskirchen außerhalb der Grenzen des Oströmischen Reichs („Nationalkirchen“), zum anderen um gegen den konstantinopolitanischen Zentralismus gerichtete regionale Bewegungen im byzantinisch beherrschten Armenien, Ägypten, Georgien und Syrien, die dort sowohl Griechen wie Kopten oder Assyrer (Aramäer) vereinten („Oppositionskirchen“). Die Georgisch Orthodoxe Kirche gehört aber, soweit ich das verstanden habe schon irgendwie zu den Altorientalen, aber auch irgendwie nicht. Es ist kompliziert, aber auf jeden Fall autokephal. Wichtiges Wort um auf jeder Party sofort im Rampenlicht zu stehen. Meint wohl so etwas wie „eigenständig“; aus altgriechisch αὐτός autós ‚selbst‘ und κεφαλή kephalē ‚Haupt‘) wird in den orthodoxen und altorientalischen Kirchen die kirchenrechtliche Unabhängigkeit von Nationalkirchen bezeichnet. Eine autokephale Kirche untersteht keiner anderen Kirche. Klar, dass den Georgiern so etwas gefällt. Am Ende müsste man noch einen Popen aus dem Nachbartal akzeptieren. Das wäre die eine Neuigkeit für mich. Die andere Sache ist jene mit dem Kalender. In meiner grenzenlosen Naivität war ich davon ausgegangen, dass alle orthodoxen Kirchen (ja, auch die Altorientalen) den überholten, julianischen Kalender verwenden. Weit gefehlt! Siehe Armenien oder auch die Kopten und wer weiß noch wen? Ein wirres, unübersichtliches Thema, welches wir vorsorglich, bis auf weiteres hier erstmal abwürgen wollen.
Kommen wir zu einem weltlicheren Thema, wenn auch nur unwesentlich weniger wirr. Batumi hat seit 2012 das erste Gebäude mit einem in die Fassade eingebauten Riesenrad. In 100 Metern Höhe befinden sich acht klimatisierte Kabinen mit Platz für insgesamt 40 Personen. Doch leider war es noch nie in Betrieb. Es fiel durch den Windkanaltest und wurde zudem in einer mäßig erdbebengefährdeten Region nicht zugelassen. Sämtliche Pläne, ihn als Hotel oder Universität zu nutzen, zerschlugen sich. So stand der gesamte Turm knapp 10 Jahren ungenutzt herum. Aktuell findet er Verwendung als Luxushotel und Casino, selbständig ohne dass das Riesenrad schnurrt.
Aktuell steht der Einfluss Russlands auf Georgien ja massiv in der Kritik. Schauen wir uns daher mal die Ursprünge dieser schwierigen Beziehung an. Die Lage Georgiens, auch heute nicht unbedingt ideal, ließ sich im Spätmittelalter mit dem Fall Konstantinopels nur noch als katastrophal beschreiben. Man war komplett abgeschnitten vom christlichen Abendland. Außerdem kamen zusätzlich erschwerend hinzu, dass die West-Ost-Handelswege der Seidenstraße durch Georgien zum Erliegen kamen, da die Europäer nun verstärkt die Seewege benutzten. Die drei großen georgischen Königreiche: Imeretien, Kartlien und Kachetien, sowie mehrere Fürstentümer, wurden nun zunehmend zwischen den Machtblöcken der Perser und Osmanen zerrieben, welche ununterbrochen auf georgischem Gebiet Krieg um die Vorherrschaft führten. Und dann kam König Erekle II. (1720-1798), welcher Sage und Schreibe mehr als hundert Verteidigungskriege führte. Doch irgendwie konnte es so nicht weitergehen und so richtete Erekle II., umgeben von islamischen Staaten, den Blick auf diesen merkwürdigen Emporkömmling im Norden und dachte sich: Ein christlicher Verbündeter, das wäre doch endlich mal was und schloss 1783 kurzerhand einen Schutzvertrag (Vertrag von Georgijewsk) mit diesen vielversprechenden, aber christlichen Barbaren. Was sollte da schon schiefgehen?
Natürlich interpretierte das Zarenreich Schutz etwas weitreichender als es den arrivierten Kulturvölkern jenseits des Kaukasus lieb war. Zunächst ließ Russland mit eiskalten, geopolitischen Kalkül die Georgier ins offene Messer rennen. Denn, im Gegensatz zu dem was man bei einem Schutzvertrag vermuten sollte, eilten die Russen den Georgiern in der entscheidenden Schlacht 1795 nicht zur Hilfe und nahmen gütlich abwägend die endgültigen Vernichtung der georgischen Streitkräfte zur Kenntnis. Die Perser brannten daraufhin Tbilissi bis auf die Grundmauern nieder, 20.000 Georgier wurden in die Sklaverei verschleppt, Zehntausende hingemetzelt. Jetzt erst berief man sich auf den Vertrag von 1783 und annektierte 1801 das ostgeorgische Reich. Quasi nach dem Motto: Wenn ihr euch nicht selbst beschützen könnt, müssen wir das machen. Keine gute Grundlage für eine Liebesheirat. Aber verheiratet war man ab sofort und blieb es für fast zwei Jahrhunderte.
Doch nun zu etwas ganz anderem: Dieses Mal, so hatte ich mir vorgenommen, würde ich nicht den Schwanz ein ziehen. Dieses Mal würde ich es schaffen – ich hatte ein gutes Vierteljahr Zeit und die Nächte waren lang – ich würde diese georgischen Schnörkel erlernen und wenn es das letzte wäre, was ich tun würde. Und so holte ich mir kurzentschlossen das passende Erstklässler-Equipment und begann zu pauken. Tatsächlich ließen die ersten Anfangserfolge nicht lange auf sich warten. Selbstverständlich sehr langsam und an irgendeinem Buchstaben blieb man dann doch immer hängen, aber es ging voran. Einer von vielen Höhepunkten dieses Prozesses war unzweifelhaft dieser Moment mit dem Stadtwappen von Tiblissi. Wie immer interessiert an den heraldischen Stilblüten meiner jeweiligen Umgebung, betrachtete ich sehr lange dieses sonderbare Wappen im Herzen der Stadtfahne. Klar, das zentrale Element war irgendein Raubvogel, höchstwahrscheinlich ein Falke (s. Gründungslegende)
Mit seinem Lieblingsfalken verfolgte der König in den umliegenden Wäldern einen Fasan. Er verlor die beiden aus den Augen und bis sein Hund sie wieder aufgespürt hatte, waren die Vögel in eine der heißen Quellen gestürzt und bei seiner Ankunft gar gekocht. (Gründungsmythos)
Dieser Falke behütete ganz offensichtlich unter seinem linken Flügel entweder den Fernsehturm oder irgendwelche Gewächse, da gab es verschiedene Versionen. Mit dem anderen Flügel lehnte der Vogel aber aufreizend lässig auf ein paar krummen Kringeln, für mich mittlerweile ganz klar auszumachen als georgische Buchstaben. Rechts außen türmten sich drei „I“s während in der inneren Reihe von oben nach unten folgende Buchstabenfolge sich vor mir auftat: „B – L -S“. Hochkonzentriert formte ich die Buchstaben vor mich hin. Sicher, ich sah die Buchstaben und es war das Stadtwappen von Tiblissi, welches ganz genau transkribiert eigentlich TBILISI (თბილისი) hieße. Ich begriff wo das hinführen sollte, allein mir fehlte ein „T“. Die werden das doch wohl nicht einfach weggelassen haben, weil kein Platz mehr war, geisterte es kurz durch mein grübelndes Hirn, bevor mich ein Geistesblitz durchzuckte.
Der komische Vogel war das „T“! Links bildete der Flügel mit dem Korpus einen Kreis und rechts stützte sich der Vogel ab und ergab den Henkel. Auf einmal war alles klar – ein Moment wie für Neo annodazumal als er die Matrix lesen konnte. Ein Ausnahmemoment der Erkenntnis. Aber Moment, ich schweife ab und das Pferd von hinten auf oder wie auch immer das heißt. Das eigentliche Thema ist ja schließlich das georgische Alphabet, denn mit der georgischen Sprache werde ich wohl in diesem Leben nicht mehr klarkommen.
Die georgische Sprache ist eine schöne Sprache. Sie ist präzise, flexibel und originell.
René Lafon, französischer Linguist
Genau, originell, was gibt es schon an aufreizenderen Prädikaten für Sprachen. Auch mag wohl etwas Vorsicht geboten sein wenn diese Einschätzung von einem französischen Linguisten kommt. Es gäbe da allerlei kreuzgefährliche und hundsgemeine Stromschnellen zu umschiffen bevor man in dieser Sprache nur halbwegs zurechtkommt. Ein paar Kostproben gefällig?!
- die ungewöhnlichen (bis zu 8 Konsonanten umfassenden) Konsonantenbündel, vor allem am Silbenanfang
- drei Arten der Verneinung (will nicht, kann nicht, darf nicht)
- 7 Fälle und 11 verschiedene Zeiten bzw. Modi
- Eine Eigentümlichkeit des Georgischen ist es, Handlung, Handelnden und Handlungsziel mit einem einzigen Wort auszudrücken: z.B. matschuka = er hat es mir geschenkt
Georgisch zählt zu den ältesten Sprachen der Welt und damit natürlich zu den schwierigsten. Sie gehört zur Kartwelischen Sprachgruppe, die völlig eigenständig besteht und mit keiner anderen Sprachgruppe und keiner der benachbarten Sprachen (Slawisch, Armenisch, Türkisch, Iranisch) verwandt ist. Aber gut, schon wieder abgeschwiffe. Nun aber wirklich: Das georgische Alphabet. Die georgische Schrift gehört natürlich zu den ältesten Alphabeten der Welt und ist eine der 14 offiziellen Schriften, die heute noch geschrieben werden. 14? Nur 14, das klänge mir doch nach allerfeinsten Quizgold. Irgendwo stieß ich ja schon einmal auf diese faszinierende Tatsache, dass jeder Nachbar der Türkei ein anderes Alphabet hat (was im übrigen wie kaum etwas anderes den Gedanken von der Wiege der Kultur und Zivilisation hier unterstützt). Damit wären wir also schon mal leichterhand bei sieben, also der Hälfte. Und auf dem Rest des Planeten gäbe es nur noch sieben weitere Alphabete? Schwer vorstellbar.
Schon eine kurze Recherche erbrachte das Resultat, dass es keine nachvollziehbare Zählweise gibt, mit der man auf die bewusste 14 käme. Natürlich gibt es, für diese, vom Tourismusministerium emsig verteilte Information keinerlei brauchbare Quelle. Offensichtlich geht die mysteriöse „14“ auf das 1988 erschiene Buch „The Life Of The Word“ von Shota Dzidziguri (1911-1994) zurück. Ganz überzeugend ist das auch nicht, da selbst in diesem Buch offensichtlich nur 13 Alphabete aufgezählt werden, und zwar:
- auf Latein basierend
- Kyrillisch-slawisch
- arabisch
- indische Silbenschrift
- chinesische Logoschrift
- Koreanisch
- äthiopisch
- griechisch
- georgisch
- armenisch
- hebräisch
- mongolisch
Das ist natürlich indiskutabel wenig. Ich weiß gar nicht wo ich hier anfangen soll?! Südostasien? Japan? Oder der durchgeknallte Versuch die dutzenden Schriftsysteme Indiens mit mit einem Alphabet abzufrühstücken. Prüft man das nochmal genauer, wird man erstaunt sein, dass diese mythische „14“ wirklich ausschließlich in Georgien angesprochen wird. Die meisten vertrauenswürdigen Quellen außerhalb von Georgien sprechen von um die hundert Alphabeten (eine wirklich exakte Liste und genaue Anzahl bleib mir das Internet jedoch schuldig), was schon ein kleiner Unterschied ist. Es erschließt sich mir nicht ganz, warum irgendeinen Tourismusmanager offenbar dachte, dass ein uraltes, originäres Alphabet wie das Georgische mehr Eindruck macht wenn es nur 13 statt 99 Verwandte hat. Will man damit den Eindruck erwecken, dass man was Besonderes ist? Schmälert es die Leistung wenn auch so viele mehr es überall auf der Erde hinbekommen haben? Wahrscheinlich. Schon ein wenig sonderbar im Land des ältesten Europäers (Dmanissi, 1,8 Mio. Jahre), des ältesten Honigs (Sakire, 5500 Jahre), ältesten Garns (Dsudsuana-Höhle, 34.000 Jahre) und der Wiege des Weins (obwohl dieses Bild weiterhin etwas merkwürdig ist) mit legendären 8000 Jahre alten Weintradition.
Und damit wären wir endlich wieder zurück beim eigentlichen Thema: Natürlich gab es das Alphabet nicht vom Anbeginn aller Zeiten, sondern es beruht im Wesentlichen auf drei Schriftarten. Zwei Varianten (Assomtawruli und Nusschuri) für das kirchliche Schrifttum, und die „Kriegerschrift“ (georg. Mchedruli) für den weltlichen Gebrauch, woraus – mit geringen Änderungen – die heutige Schrift entstand. Als älteste Inschrift in georgischer Sprache gilt die „Inschrift von Palästina“ aus dem 5. Jahrhundert. Allerdings wirkt sie auf die Experten (natürlich meine ich hier paläographische Experten!) bereits derart perfekt und lässig ausgeprägt, dass eine Vorstufe, eine so genannte Entwicklungsphase vorausgesetzt wird. Soll heißen, die georgische Schrift ist wahrscheinlich noch deutlich älter als bis jetzt angenommen.
Die alphabetische Reihenfolge der 33 Buchstaben (früher waren es übrigens 38 – ein gar nicht so trauriges Servus geht damit in den Buchstabenhimmel hinauf – schade drum ჱ, ჲ, ჳ, ჴ, ჵ) scheint vom griechischen Alphabet beeinflusst zu sein, doch die Grafik der georgischen Buchstaben stammt höchstwahrscheinlich nicht von einer anderen Schrift ab und gilt daher als originäre Erfindung. Und darauf ist man hierzulande natürlich irrsinnig stolz. Auch wenn nicht gänzlich geklärt ist wer die Schriftzeichen erfand (Parnawas I., Mesrop Maschtoz oder König Bakur III. zusammen mit seinem Freund Gri Ormisdi) und der Zeitpunkt der Entstehung wie gesagt sehr ungewiss ist, bleibt die 2016 zum Weltkulturerbe erklärte Schrift definitiv etwas ganz Besonderes und wird mir noch lange beim Erlernen Spaß und Freude bereiten.
Da wir mittlerweile komplett erschlagen und erschöpft von all den Rekorden und Ursprüngen Georgiens sind, und ermattet bereit sind, dieses kleine Land mindestens als den allzeit gesuchten und selten gefunden „Garten Eden“ zu begreifen (s. „Paradiesgeographie“, Wissensplitter 19), erstaunt es nun auch nicht allzu sehr, wenn uns dann zugetragen wird , dass es sich hier auch um die weltweit erste Kornkammer handelt – einer jener Orte, an denen der Anbau von Weizen begann. Ich hatte derlei menscheitshistorisch entscheidende Dinge dann doch eher in Mespotamien verortet, aber was wussten die schon. Haben sich wahrscheinlich den guten Saat-Stoff für ihrer Mehrwerternten stets aus dem Kaukasus holen müssen. Da Georgien ja, wie wir wissen, sowieso zu den den wichtigsten Urspungszentren kultivierter Pflanzen gehört, kommen wir natürlich auch am Weizen nicht vorbei. Von den etwa 20 Weizenarten, die weltweit bekannt sind, wurden 14 Arten in Georgien kultiviert, 5 davon sind georgische Endemiten. Und das könnte dann auch der Grund sein, warum das Brot hier so verteufelt gut schmeckt. Bis man erfährt, dass der Großteil des heute in Georgien verwendeten Mehls aus Russland stammt und selbst Brauereien jedes einzelne Gerstenkorn aus Tschechien oder Deutschland importieren. Trotzdem, nur für den Fall die fünf auf jeden Fall zu kostenden georgischen, endemischen Weizensorten wären: Asli, Dika, Sanduri, Doli und Macha.
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