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Am 11. März 2025 erreichte uns im georgischen Winterasyl eine schlichte Mail mit unglaublicher Sprengkraft. Die staatliche Tourismusbehörde schenkte uns wider alle Erwartungen die seltene Chance in Aserbaidschan über Land einzureisen.
Sollte es tatsächlich wahr werden? Diese verdammte Grenze, an der sich seit einem halben Jahrzehnt etliche Rumtreiber aus allen Weltenenden die Zähne ausgebissen hatten, schien sich gerade so mir nichts dir nichts zu öffnen (Gebrauchsanleitung zum Nachmachen). Wir waren wie elektrisiert und ausgewechselt. Aufgeregt planten wir die Weiterreise, welche sich ohne diese vier kostbaren Ziffern sehr kompliziert und kostspielig (Iran-Turkmenistan) oder sehr widerwärtig (Flug nach Kasachstan) gestaltet hätte. Lange konnten wir noch nicht so recht dran glauben, doch als sich die Tore der großen Unbekannten am 13. April quietschend für uns öffneten und wir juchheiend hineinrollten, da begann ein ganz besondere Episode dieses kleinen Fahrradausflugs. Nichts geringeres als die vielleicht schönsten 25 Tage dieser Reise waren angebrochen.
Das mag jetzt etwas reißerisch und unglaubwürdig klingen. Aserbaidschan? Im Ernst?! Was ist mit den duftenden, von traumhaften Radwegen durchzogenen Frankreich? Was mit der Üppigkeit menschenleerer Strände Sardiniens? Die Perfektion im Westentaschenformat Sloweniens? Oder einfach nur das Nonplusultra – das Maß aller Dinge – Tschechien! Ja, natürlich gab es auch zahlreiche, andere Glanzlichter in den letzten tausend Reisetagen, aber Aserbaidschan reiht sich hier mit Fug und Recht mit ein. Wieso und warum möchte ich im Folgenden ausführlich beschreiben. Eines steht aber jetzt schon fest: Die Ausnahmeentscheidung des Ministerkabinetts war daher deutlich mehr als eine reine Reiseroutenerleichterung, denn was wir hier erlebten und erfuhren, in diesen wenigen Tagen, werde ich mein Lebtag nicht vergessen und so will ich gar nicht daran denken, was ich verpasst hätte, wenn ich diese Chance nicht bekommen hätte. Aserbaidschan ist weit mehr als ein Transitland zwischen Okzident und Orient, Aserbaidschan ist ein vielfältiges, buntes Land mit den gastfreundlichsten und offensten Menschen, die ich seit langem kennenlernen durfte. Aber, der Reihe nach…
Gelöscht: Gelöscht:Die ersten 20km Aserbaidschan sind himmlisch. Wie ich hier nicht müde werde zu erwähnen – Alles hat Vor -und Nachteile! Und so hat eine, seit einem Jahrfünft für den Individualverkehr geschlossene Grenze den unbestreitbaren Vorteil stiller, ungefährdeter Glückseligkeit. Und so rollen wir hinein ins Abenteuer, nur bisweilen von gutmütigen Kuhaugen beglotzt.

„А вы откуда?“ („Ja, wo kommt ihr denn her?“)
Nachdem sich die dann irgendwann sacht die Zivilisation ins Geschehen einmischt, vertiefen sich die positiven Eindrücke tatsächlich noch mehr: Wie gepflegt und sauber hier alles ist! Nichts gegen mein geliebtes Georgien, aber das sind Welten! (Im übrigen bin ich mir in Anbetracht der nun folgenden Lobhudelei der Gefahr bewusst, in welch‘ schlechtem Licht unser hochgeschätzter Gastgeber Georgien erscheinen wird. Ja, es tut mir von Herzen leid, aber so ist die von uns erlebte Realität – es gibt offensichtlich einen neuen Klassenprimus im Kaukasus!) Vom Straßenbild und -qualität glaubt man sich zeitweise in der Türkei (nur ohne die ständigen Moscheen – die erste Moschee sahen wir hier erst nach gut 40 km) Und dann natürlich allerorten diese freundlichen, grüßenden Menschen, die höflich und interessiert nach dem Woher und Wohin fragen (die Sprachgrenze, so merken wir schnell, hatten wir nun endgültig hinter uns gelassen – hier ist die allgemeingültige Verkehrssprache eindeutig Russisch! Der Ausruf „А вы откуда?“ („Ja, wo kommt ihr denn her?“) fliegt uns unzählige Male entgegen und erscheint uns bald als ein würdiger Ersatz für das eigentlich übliche „Salam“ (Hallo). Ja, ich bin bald versucht dieses Land in „Otkudastan“ umzutaufen. Das basse Erstaunen und die schlichten Fragen, die oftmals statt dem üblichen Woher und Wohin aus Warum und vor allem Wie bestehen, offenbaren die Abschottung dieses wunderschönen Landes mit seinen herzlichen Menschen. Klar, außer gelegentlichen Fußball- und Schlagerfans sowie den üblichen Glücksrittern dürften hier nicht viele Ausländer vorbeikommen. Und selbst jene tröpfeln natürlich nur in die große Glitzermetropole Baku hinein. So sind wir also vom ersten Tag an exotische Anschauungsobjekte und Sonderbotschafter in einem! Und immer wieder müssen wir betonen, nein, leider ist die Grenze nicht auf. Wir haben eine Sondergenehmigung erhalten und sind mit jedem Tag froher über diesen unverhofften Glücksfall.







Und noch etwas ist anders und beeinflusst das Wohlgefühl in unbeschreiblichen Maße: der Autoverkehr. Als sich nämlich spätestens nach der ersten nennenswerten Stadt (Balakən) die ersten motorisierten Verkehrsteilnehmer hinzugesellen, merken wir schnell, hier hat sich etwas extrem verändert. Selbstverständlich heizen auch die Azeris wie ihre Nachbarshenker bisweilen wie besengt über die Piste, doch dabei fällt schnell auf wie sie stets auf Abstand zu uns achten auch wenn sie dabei in den Gegenverkehr oder herumtrödelnde Kühe rammen könnten. Verwirrt nehmen wir diesen Umstand genießerisch zur Kenntnis und realisieren dabei leider auch wie sehr wir uns an den Wahnsinn auf georgischen Straßen gewöhnt hatten. Wir haben zwei Arbeitstheorien für dieses außergewöhnliche Verhalten: Eine ist, dass neben einer allgemeinen Nettigkeit und Achtsamkeit auch noch ein anderes Motiv zugrunde liegen könnte. Schon von Beginn an fiel uns in Aserbaidschan der erstaunlich gute Zustand der alten, sowjetischen Autos (hauptsächlich Ladas) auf. Auch in der georgischen Provinz war die häufige Präsenz der alten Ladas allgegenwärtig, aber der OVP-Zustand vieler Ladas und Wolgas hierzulande irritierte uns enorm und verstärkte das Sowjetgefühl natürlich nicht unbedeutend. Der Grund dafür liegt in der hiesigen knappen Ressource Auto. Nicht jeder kann sich hier ein Auto leisten, daher wird das Bestehende gepflegt. Deshalb hält sich (zumindest auf dem Land) angenehmerweise der Verkehr sehr in Grenzen. Da ein Auto also sehr kostbar ist, könnte es doch auch sein, dass sie deshalb so vorsichtig um uns herumkurvten.




Eine andere Theorie ist die, dass sie uns auf diese Weise einfach besser beäugen können. Denn wenn wir hier irgendwas waren dann DIE Zirkusnummer des Jahres – quasi der Höhepunkt der Saison. Man kann natürlich auch mit Leichtigkeit annehmen, dass beide Theorien Einfluss auf das aserbaidschanische Fahrverhalten haben UND dass es sich um nette, fürsorgliche Menschen handelt.

Kurzes Zwischenfazit: Bei den Azeris handelt es sich also um Türken ohne Religionsfimmel und mit Russischkenntnissen. Wobei wir natürlich noch keinerlei Kontakt zu den hochnäsigen Bakuten aufgenommen haben.
Gewohnt ausgewogenes und differenziertes Pauschalurteil nach dem ersten Tag aus den Reiseaufzeichnungen
Wir haben oft darüber gegrübelt woran es wohl läge, diese außergewöhnliche Stimmung, die vom ersten Augenblick an zwischen uns und den Menschen hier bestand. Denn es handelte sich hier keineswegs um ein Strohfeuer oder eine lokal begrenzte Anomalie. Fast 1000km durchkreuzten wir das „Land des Feuers“ von den Hängen des Kaukasus im Norden, über das bezaubernde Şəki, hinunter durch freundliche Planstädte wie Mingəçevir und trubelige Agrarzentren wie Gəncə, fuhren hunderte von Kilometern durch flaches Steppenland bis hinunter in die subtropischen Wälder um Lənkəran herum, suchten das Kaspische Meer an einer übel riechenden Schwemmlandküste und inspizierten schlussendlich auch die Ausnahmeerescheinung Baku. Überall, außer in Baku und in Teilen der Südküste schlug uns in unverminderter Frequenz etwas entgegen, was man nur unzureichend mit Worten wie Gastfreundschaft, Selbstlosigkeit und Empathie beschreiben kann. Zwei Faktoren mag der grübelnde Reisende hier auf den ersten Blick identifizieren: Einerseits den Islam, welcher u.a. beinhaltet Reisende zu beschützen und zu umsorgen. Die Früchte dieser liebenswerten kulturellen Eigenheit hatte uns schon oft in Ländern wie der Türkei, Marokko oder Tunesien die Schamesröte ins Gesicht getrieben und war mit Sicherheit auch hier mitverantwortlich für das selbstlosen Engagement uns Rumtreibern gegenüber. Andererseits wird auch die abgeschottete Lage des Landes eine Rolle gespielt haben. Wie schon erwähnt, gehören Ausländer, Touristen hier nicht zum Alltagsbild. Dementsprechend ist man als ein solches Exemplar natürlich erstmal was besonderes und Zentrum des Interesses.







Das allgegenwärtige und schlecht verhohlene Anstarren von allen Seiten gehörte daher auch zu den eher unangenehmen Aspekten des Aserbaidschanbesuchs. Doch es ist nicht selbstverständlich, dass sich diese Neugier in ein angenehmes Gefühl höflicher Fürsorge wandelt wie im Falle fast aller Aserbaidschaner, die unseren Weg kreuzten. Tatsächlich ist es leider oftmals ein schmaler Grat zwischen hilfreicher Fürsorge und penetranter Aufdringlichkeit – für die Aserbaidschaner können hier nur Bestnoten ausgestellt werden. Genau die richtige Mischung aus zurückhaltendem Interesse und ernstgemeinter Hilfsbereitschaft – wie oft hörten wir hier den Satz: „Wenn ihr irgendetwas braucht, ihr müsst es nur sagen!“ Und dabei handelte es sich nie um ein Lippenbekenntnis. Daher möchte ich die Frage mit dem ‚Warum sind sie so großartig?‘ mit einem schlichten ‚Weil es gute Menschen sind.‘ beantworten. Gut erzogene, offene, großherzige Menschen. Die entscheidendere Frage müsste vielmehr sein: ‚Warum sind wir es nicht mehr?‘ bzw., der ewig nagende Pein in mir wenn man mal wieder lächelnd zum Tee eingeladen wird und ohne zu zögern Essen und ein Nachtlager bereitgestellt wird – wann ist Vergleichbares je einem Azeri in meiner herzenskalten Heimat widerfahren?











Und natürlich, es mag ein wenig am Frühling oder auch an der langen Pause gelegen haben, aber was wir zumindest am Anfang in Aserbaidschan durchfuhren, gehörte zu den spektakulärsten Landschaften, durch die wir seit langem das Glück hatten radeln zu dürfen. Später verwandelte sich unser Horizont in triste Steppe und noch ein wenig später sahen wir uns einer Meeresküste gegenüber, die uns extrem enttäuschte. Die Austrocknung und Zumüllung des Kaspischen Meeres führten dazu, dass das Zusammentreffen mit diesem lang entgegengefieberten Gewässer zu den eher trübseligeren Momenten dieser Reise gehörte. Aber die Ouvertüre – à la bonne heure!






Und wenn wir schon bei Trübsal sind: Auch der vielgerühmte und lang entgegengefieberte „Hirkan Nationalpark“ im äußerten südöstlichen Zipfel Aserbaidschans mit seine Hyrkanischen Wäldern enttäuschte uns extrem. Es ist das übliche traurige Beispiel von desaströser Naturpräsentation. Die Wälder hier mitsamt dem Stausee stellen ein einzigartiges Naturschauspiel dar, welches weit über Aserbaidschans Grenzen Menschen anzieht. Natürlich zieht das auch Gastronomen, Pferdevermieter und sonstige Verkäufer an, die alle etwas abhaben wollen von dem großen Kuchen der durch so eine Attraktion zu verteilen ist. Und das sei ihnen selbstverständlich allen gegönnt. Nur sehen sie leider nicht wie das eigentliche Momentum, wegen dem Touristen wie Gewerbetreibende hier sind, dadurch immer schwächer wird und bald kaum noch auszumachen ist. Wir wandten uns jedenfalls mit Grausen ab und suchten (und fanden) in den nicht weit entfernten, einsamen Vogelschutzreservaten unser Glück.
Die aserbaidschanische Küche auf Magenhöhe mit der Georgischen
Nach diesem Loblied auf die hier lebenden Menschen widmen wir uns nun einer weiteren Komponente, die das Leben angenehm gestaltet: Den leiblichen Wohl. Speziell in dieser Disziplin, so dachten wir, würde unsere wackeres Georgen bestehen können. Und das tat es dann auch: Die entzückende Symphonie der diversen Leckerbissen und edlen Tropfen Georgiens bleibt unbestritten. Es kann jedoch voller Wohlgefallen berichtet werden, dass sich die aserbaidschanische Küche auf Magenhöhe mit den nachbarlichen Künsten befindet. Neben den köstlichsten Varianten an Backwaren und einem Brot, dass sich zweifellos mit dem Georgischen messen kann (zudem findet sich hier auch immer öfter dunkles, saftiges Roggenbrot) verliebten wir uns mit dem ersten Zungenschlag in eine delikate Suppe/Getränk namens Dovga (ein Mix aus Naturjoghurt, Koriander, Dill, Minze und Spinat, manchmal auch mit Reis, Kichererbsen und Fleischbällchen). Auch Dolma (gefüllte Weinblätter) rollen hier in ungewohnter Kugelform aber äußerst schmackhaft über den Teller. Außerdem natürlich Sheki Piti – DIE Spezialität aus dem schon erwähnten Sheki (Şəki) – eine unglaublich schmackhafte Suppe. Lammfleisch, Kichererbsen, Safran und etwas Lammfett wird in einem speziellen Tontopf gekocht und auch darin serviert. Genauso sieht der Himmel als Suppe aus. Aber das war es ja noch lange nicht, denn neben den üblichen Köstlichkeiten vom Grill kommt hier natürlich noch eine kulinarisches Schwergewicht ins Spiel, der, so man gedenkt weiter gen Osten zu reisen, so bald nicht wieder verschwinden wird: Plow!



Meisterklasse emporschweben wird





Plow gibt es in etlichen Versionen und würde man im Vulgärdeutschen wohl mehrheitlich als „Reis mit Sch…“ bezeichnen. Dieses Gericht wird hierzulande mit soviel Hingabe und Liebe zubereitet und genossen, dass man schwerlich dran vorbeikommt. Und ich möchte mich hier auch einmal in ungewohnter Dogmatik üben: Wer in Aserbaidschan war und keinen „Schach Plow“ gegessen hat, hat die Kontrolle über seine Reise verloren.
Und dann gibt es noch Tee. Die gleichen Gläser wie in der Türkei, aber das war es auch schon an Gemeinsamkeiten. Während die Türken zwar leidenschaftliche Teetrinker sind, aber leider ununterbrochen den exakt gleichen Tee trinken, was einem passionierten Teegourmet nach ungefähr zwei Wochen ein wenig zu eintönig wird, bezauberten die Azeris mich in jedem Dorf, bei jeder Teepause mit einem anderen duftenden Aroma. Ob Bergamotte, Bitterorange, Wildfrüchte, Minze – stets wurde die neugierige Nase nicht enttäuscht wenn sie sich der dampfenden Kanne näherte. Und ja, Tee wird hier immer in der Kanne serviert. Nicht nur draußen.




Und natürlich gibt es auch Wein und Bier. Ersterer muss sich keinesfalls hinter dem Georgischen verstecken. Warum auch? Die Weinberge gehen nahtlos ineinander über. Es gab keinen fundamentalistisch gelenkten Bruch in der Bewirtschaftung und so waren die Chancen für guten Wein hoch. Für Bier sieht die Sachlage leider ganz anders aus. Es gibt ein paar rare Ausnahmen (die Biere aus Saylan seien hier wärmstens empfohlen), aber im Durchschnitt kann das heimische Bier nur als gewöhnungsbedürftig bezeichnet werden. Dabei muss ich kurz bemerken wie überrascht ich war, in welch vordergründige Rolle Alkohol in einem, von mir als islamisch geprägt wahrgenommenen Land spielt. Nicht nur, dass man ihn überall ohne jegliche Recherche erwerben kann, er springt einem förmlich überall ins Auge. Die Auslagen vieler Lebensmittelgeschäfte erinnern eher an überbordende Schnapsläden. Auch der Preis ist moderat und dementsprechend wird hierzulande nicht zu knapp getrunken. Es war keine Ausnahme, dass wenn wir am helllichten Mittag zum Essen von der Straße gezogen wurden, dass bei den Einheimischen wie selbstverständlich auch die Wodkaflasche zur Mahlzeit gereicht wurde. Nach unseren Erfahrungen hielt sich dabei alles in Grenzen und es kam zu keinerlei unschönen Szenen, aber ich wunderte mich doch ein ums andere Mal, um was für ein sonderbares, islamisches Land es sich hier handelte.
Der Islam lauert dezent im Hintergrund
Ich erwähnte bereits zu Beginn, dass wir den Islam bei unserer Einfahrt in Aserbaidschan kaum ausmachen konnten. Erst etliche Kilometer später entdeckten wir eine Moschee und die typischen Laute des Muezzin vernahmen wir erst deutlich später und diese standen in keinem Vergleich zu dem ununterbrochen scheinenden Getöne in der Türkei oder Marokko (Wissenswert: Die Schiiten rufen im Gegensatz zu den Sunniten nur dreimal zum Gebet auf) So kann man also zusammenfassend sagen, dass der Islam hier doch recht dezent im Hintergrund lauert. Religion scheint hier als das behandelt zu werden, was sie in meinen Augen auch zu sein hat: Privatsache. Nichts was sich in die Belange der Menschen einmischt oder ihr Leben gar zu bestimmen oder verändern wagt. Mit Sicherheit fehlt mir hier einige Details um solch eine Expertise mit Souveränität abzugeben, aber so wie ich den Islam hier mitbekommen habe, kann ich durchaus mit ihm leben.




Erst in der Şəkischen Altstadt stolpert man dann bisweilen über Moscheen. Aber schaut sie euch an: Schüchtern, mit einem Hauch von roten Backstein ducken sie sich zögerlich ins Straßengeschehen. Ein ganz anderer Stil als wir ihn bislang gewohnt waren und weit entfernt von den protzigen Phallusstafetten der Türkei.




Natürlich geht es auch anders wie beispielsweise beim Imamzadeh von Gəncə, einer Moschee und Mausoleum für einen gewissen Ibrahim (Sohn des fünften Imans der Schiiten) aber auch hier kommt Gelassenheit ins Spiel, da wir als Ungläubige beispielsweise (so wir unser Schuhwerk draußen lassen) problemlos das Innere solcher Sakralbauten besichtigen durften. Derlei Ansinnen wäre in den zuvor von uns bereisten islamischen Ländern undenkbar gewesen.
Baku – die Glitzermetropolenanomalie
Ich erwähnte es, als ich das Loblied anstimmte von diesen gastfreundlichen Menschen: Es gibt da eine Ausnahme und die heißt Baku. Das mag nicht sonderlich überraschen, sind doch Großstädte selten für einen herzlichen und offenen Menschenschlag bekannt. Die Schnelllebigkeit und Quantität von Metropolen sorgt in den meisten Fällen für eine neutralisierende Anonymität wegen der sehr viele Menschen, dieses Lebensort sogar bevorzugen. Und natürlich kann dies auch von Vorteil sein, gar keine Frage, aber das soll hier nicht die Debatte sein. Allein, es versteht sich von selbst, dass die Ausnahmesituation, der wir auf dem Lande begegneten, hier endete. Das heißt im Umkehrschluss natürlich keineswegs, dass es sich bei Baku um eine unfreundliche, garstige Megacity handeln würde. Auf gar keinen Fall, denn Baku ist etwas ganz Besonderes. Eine Stadt wie diese habe ich auf all meinen Reisen noch nie gesehen. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich noch nicht viel in Asien herumgetrieben habe und Städte dieses Typus demnächst häufiger werden, aber dieser selbstverständliche Protz, der sich in Prunk und Pracht wälzt und mit klinischer Sauberkeit und grünen Parkanlagen pudert, kannte ich bislang nur von Fotos oder aus Dokumentationen. Dabei besteht Baku nicht nur aus modernen Prunkbauten. Es gibt auch eine stattliche Anzahl an Gebäuden, ganzen Vierteln aus der Jahrhundertwende, die den damaligen Reichtum dank Ölbooms hervorragend vermitteln. Baku ist zweifellos eine Reise wert. Man kann hier jede Menge bedeutender und beeindruckender Dinge bestaunen und trotz der Größe der Stadt und des immerwährenden Staus auf den Straßen, fühlt man selten diesen üblichen Großstadtstress. Breit angelegte Straßen und Parks sorgen dafür, dass man dies Stadt halbwegs genüsslich entdecken kann.









Es gibt immer einen Haken – die sanitäre Katastrophe
Es fällt mir alles andere als leicht dies anzusprechen, aber ich denke wir sind Freunde geworden und Freunde sind genau dafür da auch unangenehme Dinge anzusprechen. Also, Aserbaidschan, du hast ein Problem und zwar ein gewaltiges und ich verstehe nicht warum. Ich möchte hier nicht ins Detail gehen, denn ich denke, es genügt wenn ich bemerke, dass ich noch in wenigen Ländern auf der Welt schmutzigere, ungepflegtere Toiletten erlebt habe als bei dir. Und ich spreche hier nicht von der Problemzone vieler Länder, der ungeliebten Schmuddelkatekorie „öffentliche Toiletten“. Nein, wir etlebten dergleichen Schläge ins Gemächt quasi unerwartet in sauberen, adretten Lokalitäten. Alles war licht und klar bis der Gang zum Abtritt kam.




Und eben hier setzt unser eklatantes Unverständnis ein. Wie kann ein Volk, welches sich unablässig die Hände wäscht, auf ein gepflegtes Aussehen achtet und deren öffentliche wie private Aufenthaltsorte eine peinlich gehütete Sauberkeit ausstrahlen, über derart verwahrloste, sämtliche Regeln der Hygiene spottende Toiletten verfügen?! Das passt doch nicht zusammen, das ergibt doch alles überhaupt keinen Sinn. Wir sind ratlos, aber nicht hoffnunglos, dass sich diesbezüglich schon bald, vielleicht bei unserem nächsten Besuch etwas zum Besseren gewendet hat. Denn soviel ist sicher: Einen nächsten Besuch wird es zweifellos geben. Schließlich macht man das so unter Freunden.
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